Die letzte Kugel

Af: Herbert Von Hoerner

Læseprøve

Beskrivelse

"In jeder Kugel steckt der Geist der Kugel. Er ist ihr Dämon. Er kann sich nicht damit zufrieden geben, daß die Kugel irgendwo ruht. Keine Kugel will ruhen. Sie will, daß wir sie in Bewegung setzten, sie rollen, laufen, springen, fliegen, sich drehen lassen." Oder eben, dass wir sie abschießen. Dass besagte Kugel hier ein scheinbar harmloses, aus Brot gerolltes Kügelchen ist, tut nichts zur Sache. Denn der junge Korpsstudent Michel, durch reichlich Wein, Gesang und Zecherei mit seinen beiden Kollegen in jenem Gasthaus zu Riga leichtsinnig geworden, hat diese Brotkugel soeben abgeschossen: Auf den geheimnisvollen schweigsamen Mann am anderen Ende des Tisches, über den sich die Studenten schon des Längeren lustig gemacht haben und den sie, weil er irgendwie wie eine Mischung aus Birkhuhn und Auerhahn aussieht, den "Rackelhahn" getauft haben. Die Kugel trifft den Mann an der Schulter. Er hebt die Brotkugel auf, steckt sie ein und setzt sein Mahl fort. Das Ganze wiederholt sich, während die fröhliche Zecherei weitergeht, noch zweimal. Beim dritten Mal trifft die Brotkugel den "Rackelhahn" in die Brust. Nun steht der Mann auf und verschwindet, lässt dem jungen Michel aber noch seine Visitenkarte sowie eine Botschaft überbringen: "Drei Brotkugeln – drei Bleikugeln, das gibt eine einfache Rechnung. Ich bin an drei Stellen meines Leibes getroffen worden. Zuerst an der linken Schulter, dann an der rechten, und das dritte Mal war es Herzschuß. Genau so werden auch meine Kugeln sitzen: linke Schulter, rechte Schulter, Herz." Ein Duell also. Michel muss nun all seinen Mut beweisen. Aber es wird ein ganz besonderes Duell, das nicht so einfach erledigt ist. Schließlich Läuten bei Michel gar die Hochzeitsglocken, ehe auch die letzte Kugel ihr Ziel findet … Aus kleinen Ursachen können große, für ein Menschenleben entscheidende Wirkungen entstehen und ein scheinbar bedeutungsloser Vorgang kann das wunderliche Wirken eines höheren Schicksals begreifbar werden lassen – eine überaus spannende Meistererzählung, des großen, zu Unrecht lange vergessenen deutschbaltischen Autors Herbert von Hoerner!

Herbert von Hoerner (1884–1946) war ein deutschbaltischer Schriftsteller und Maler. Herbert Otto Christian Carl von Hoerner wurde 1884 auf Gut Ihlen in Kurland geboren. Er erhielt Privatunterricht und besuchte das russische Gymnasium in Mitau. Nach Beendigung seines Militärdienst in der russischen Armee beim Dragonerregiment in Mitau begann er 1905 an der Kunstakademie in München Architektur zu studieren. 1906 wechselte er zur Staatlichen Kunstschule in Breslau, wo er 1908 das Zeichenlehrerexamen bestand. Danach arbeitete Hoerner als Zeichenlehrer in Mitau. Im Ersten Weltkrieg wurde er als russischer Reserveoffizier in Küstrin und Celle interniert und erst 1916 entlassen. In dieser Zeit war er bereits in Sammelbänden mit Gedichten und kleineren Prosatexten vertreten. Während der deutschen Besetzung des Baltikums kehrte Hoerner mit seiner Frau nach Gut Ihlen zurück. 1919–1920 nahm er als Offizier der 3. Kompanie der Baltischen Landeswehr am Lettischen Unabhängigkeitskrieg teil. Seine Kriegserlebnisse stellte er 1922 in seinem ersten Einzelband "Villa Gudrun" dar. Nach der Auflösung der Baltischen Landeswehr verbrachte er sieben Wanderjahre als Übersetzer, Porträtmaler, Dichter und Schriftsteller in Deutschland. 1928 fand Hoerner schließlich eine neue Heimat in Görlitz, wo er als Zeichenlehrer am Gymnasium Augustum angestellt wurde und auch Mathematik und Deutsch unterrichtete. Neben der Schultätigkeit betätigte er sich zunehmend schriftstellerisch. In den 1930er Jahren erschienen eine Reihe von ihm verfasster Novellen und Erzählungen. Hoerner war ein vorzüglicher Anekdotenerzähler mit hintergründigem Humor, in dem jedoch auch eine gewisse Trauer und Schwermut mitschwingt. Er wählte heimatverbundene, traditionelle Sujets, einfache, aber symbolhafte Motive und war Meister einer atmosphärischen Landschafts- und Menschenzeichnung. Das ermöglichte es den Nationalsozialisten, Hoerner, der wesentlich unpolitisch war, zu einem der ihren zu erklären. Für seinen in zahlreiche Sprachen übersetzten Bauernroman "Der graue Reiter" erhielt er 1940 den Literaturpreis der Stadt Berlin. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht und wurde bei Stalingrad und in der Ukraine als Dolmetscher im Rang eines Sonderführers eingesetzt. In den letzten Kriegsmonaten stand er dem Görlitzer Festungskommandanten Oberst Neise als Sonderführer zur Verfügung. Am 18. Juni 1946 wurde Herbert von Hoerner vom sowjetischen Geheimdienst MGB verhaftet, und am 30. August 1946 verurteilte ihn ein sowjetisches Militärtribunal nach Artikel 58/2 (bewaffneter Aufstand, Eindringen in die UdSSR) zum Tode durch Erschießen. Das Urteil wurde am 26. September 1946 vollstreckt. Im Oktober 2002 wurde Herbert von Hoerner von der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft rehabilitiert. Seine literarischen Werke, die bis in die 1970er Jahre immer wieder neu aufgelegt wurden, werden gegenwärtig wiederentdeckt.

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